Meilenstein: Elektroautomobile Drehleiter, Baujahr 1903

Im Jahr 1903 fuhren auf Deutschlands Straßen 1.450 Automobile mit Benzinmotor – keines davon gehörte einer Feuerwehr. Deren Chefs sahen die Zukunft überwiegend im Elektromobil. Vor allem bestimmte Nebenaggregate des ‚Explosionsmotors‘ (Vergaser, Benzinleitungen, Zündeinrichtungen!) erwiesen sich als störanfällig, und mit ‚Benzin zum Feuer‘ zu fahren, hielten sie für gewagt.“, so Manfred Gihl, der Nestor der Geschichte des deutschen Feuerwehrfahrzeugbaus in seinem gleichnamigen Standardwerk.

Nicht von ungefähr wurde kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert auch die Leistung von Elektromotoren noch in Pferdestärken angegeben, war doch die überwiegende Zahl der Fahrzeuge auf deutschen Straßen noch für über zwei Jahrzehnte von Pferden gezogen.

Jeder der beiden Gleichstrommotoren der „Jubilarin“ – also der ehemaligen Drehleiter der Feuerwehr Offenbach – hatte eine Leistung von 10 PS, was jeweils 7,4 kW entspricht! Und diese beiden Motoren trieben die Vorderräder über einen Zahnkranz an der Innenseite derselben an.

Die elektroautomobile Drehleiter des Herstellers Justus Christian Braun AG – Nürnberg war vom 18. Juni bis 20. Juni 1903 in Dresden auf der dritten Versammlung des Verbandes der deutschen Berufsfeuerwehroffiziere (VDB) den Führungskräften aus dem Kreis der potentiellen Beschaffer vorgeführt worden.

Als das damalige „High-Tech-Fahrzeug“ am 10. August 1903 im Rahmen einer Vorführung und Erprobung in Offenbach zunächst für ein Jahr in Betrieb genommen wurde, war die Feuerwache der Stadt Offenbach noch nicht an das öffentliche Stromnetz angeschlossen. Woher kam dann der Strom für die Ladung?

Findig wie Feuerwehrleute waren und bis heute sind, betrieb man mit der 1901 beschafften Dampfspritze einfach einen Generator zum Aufladen der Akkumulatoren.

Die von der „Akkumulatoren A.G. in Hagen“ bezogenen Batterien waren sogenannte „Bleisammler“, d. h. in einem Säurebad aufgestellte Bleiplatten (= Zellen). 82 Zellen mit einer Kapazität von insgesamt 96 Ah (Amperestunden) waren auf einem austauschbaren Auszug, im heutigen Sprachgebrauch Palette, angeordnet, die in einem kastenförmig verlängerten Kutschbock untergebracht war. Nach der Rückkehr auf die Wache wurde die Palette sofort gegen ein Pendant mit frisch aufgeladenen Batterien ausgetauscht. Wegen der möglichen Knallgasbildung bei Überladung der Batterien musste der Ladevorgang in einem separaten Raum fachgerecht durchgeführt und kontrolliert werden.

Der Aktionsradius des elektroautomobilen Fahrzeugs betrug 25 km bei einer Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h. Die Nockenschaltung ermöglichte in der Vorwärtsfahrt fünf Fahrstufen und rückwärts zwei. Bei beiden elektrischen Bremsstufen wirkten die Fahrmotoren als Generatoren und speisten so beim Bremsvorgang wieder Energie in die Batterien ein.

Das Fahrzeug wog betriebsbereit 6,59 sowie inkl. Besatzung 7,34 Tonnen und war vollgummibereift (Fabrikat Metzler-München).

Die Lenkung erfolgte wie bei den herkömmlichen Pferdekutschen noch in sehr konservativer Ausführung über einen Drehschemel. Da die lange Deichsel einer Pferdekutsche entfiel, wurde der Drehschemel über ein Schneckengetriebe gesteuert, das an eine senkrechte Lenksäule mit einem klassischen Lenkrad angeschlagen war. Diese Übertragung gewährte selbst bei einem Antrieb über nur einen der beiden Motoren noch eine ausreichende Lenkbarkeit.

Die in der Fachpresse veröffentlichten Angaben zu den zurückgelegten Fahrstrecken weichen teilweise voneinander ab. Die „Feuerpolizei“ listet in Nr. 12/1906 für das lfd. Jahr 35 Fahrten zu Bränden und 60 Übungsfahrten mit insgesamt 213 km. Die höchste Tagesleistung seien neun Kilometer gewesen.

„Feuer und Wasser“ vermerkt 1908: „In Offenbach wurde im 1., 2., und 3. Betriebsjahr kein Kapazitätsschwund festgestellt; im 4. Betriebsjahr fehlten 8 Ampère-Stunden der Gesamtkapazität. Zurückgelegt wurden in den 4 Jahren: 537, 586, 441 und 366 km zusammen 1966 km.

Die Anschaffungskosten betrugen 15.000 Mark, was einem heutigen Wert von € 165.000,- entsprechen würde; eine moderne Drehleiter würde im Jahr 2023 mit überschlägig € 750.000,- zu Buche schlagen.

Auch der Aufbau hatte es in sich: Der vierteilige Leitersatz war im eingeschobenen Zustand so gut ausbalanciert, dass er mit der Kraft zweier Männer in 4 bis 8 Sekunden aufgerichtet werden konnte. Der Auszug der 24-Meter-Leiter erfolgte in 10 bis 20 Sekunden mit Hilfe eines zweizylindrigen Kohlensäuremotors. Hier erfolgte der Druck auf die Kolben aus den mitgeführten Kohlesäureflaschen und nicht durch den Explosionsdruck eines herkömmlichen Benzinmotors. Der Kettenantrieb des Leiterparks war selbstaufwickelnd und in jeder Stellung arretierbar.

Eine Neuheit war auch der erste kugelgelagerte Drehkranz für den Leiterpark.

Am 8. August 1904 ereignete sich im Rahmen einer Angriffsübung ein Unfall, der eine umfangreichere technische Instandsetzung des Leiterparks erforderte. Beim unkontrollierten Kippen streifte die Spitze der Leiter glücklicherweise dergestalt an einer Hofmauer herunter, „daß der Fall ganz bedeutend abgeschwächt war und die beiden Feuerwehrleute auf diese Art von größerem Schaden bewahrt wurden.“ So bereits am15. August, d.h. nur sieben Tage später, nachzulesen in der „Badische Feuerwehr-Zeitung“, Nr. 16. Die Kosten der Instandsetzung beliefen sich auf 2.680 Mark, was einem knappen Fünftel des Kaufpreises entsprach.

Dieser technikhistorische Meilenstein wurde erst im Jahr 1927 außer Dienst gestellt und danach glücklicherweise für eine spätere Aufnahme in ein Museum aufbewahrt. 1965 konnte dieser Gedanke endlich umgesetzt werden, indem man es als eines der ersten historischen Objekte dem DFM anvertraut hat.

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